Ein dramatisches Nachfrageproblem, das offenbaren die neuen Quartalszahlen des US-Autoherstellers. Vorbei die Zeiten, als der Chef die große Vision verkörperte. Jetzt reagiert Elon Musk mit Ideen aus dem Handbuch für Chefs strauchelnder Konzerne.
Ein Beitrag von Jürgen Schmieder
Los Angeles
Wer kapieren will, warum die Tesla-Verkaufszahlen derart desaströs daherkommen; warum sie Dan Ives vom Risikokapitalgeber Wedbush Securities gar als „Zugunglück, bei voller Fahrt gegen eine Ziegelstein-Mauer geknallt“ bezeichnet; warum die Aktie des Elektroautobauers seit Jahresbeginn um mehr als ein Drittel gefallen ist: Tesla-Designstudio in Los Angeles, Mai 2015. Es sind ausschließlich Teslarati da, also Tesla- und Elon-Musk-Jünger, und sie sind: beseelt.
Tesla ist jetzt ein Elektroautohersteller von vielen
Knapp neun Jahre später sind von Musk nur noch Leute beseelt, die auch toll finden, was er so mit dem sozialen Netzwerk X anstellt – keine Frage, das sind noch immer Millionen, jedoch hat ihn schon lange keiner mehr „Iron Man“ genannt. Auch der Zauber um Tesla scheint verflogen zu sein, Batterie- oder Heimstrom-Firma hat Tesla auch schon lange keiner mehr genannt. Der Konzern ist jetzt ein Elektroautohersteller von vielen, der wie alle börsennotierten Unternehmen jedes Quartal Zahlen veröffentlicht und daran gemessen wird. Das Narrativ ist nicht mehr, dass der verwegene Musk sein Vermögen investiert, um, wie er damals sagte, „diesen blauen oder grünen Ball zu retten oder das Leben früher oder später zu expandieren, um nicht auszusterben“. Okay, zugegeben: So ein Start einer Space-X-Rakete wie am Montagabend über Kalifornien lässt einen dann schon noch beseelt zum Himmel starren.
Zurück zu Tesla: Die entscheidende Zahl ist 386 810. So viele Fahrzeuge hat der Konzern im vergangenen Vierteljahr ausgeliefert. Wohlgemerkt: ausgeliefert – nicht produziert; denn der Unterschied ist in etwa so groß wie jener, ob man Musk für einen Superhelden oder einen Internet-Troll hält. Produziert hat Tesla nämlich 433 371 Fahrzeuge und bei Quartalszahlen häufig darauf verwiesen, das Problem des Konzerns liege eher darin, der immensen Nachfrage gerecht zu werden in der, wie Musk sagte: „Produktionshölle“. Die gibt es immer noch. Tesla hat deutlich weniger produziert als im Quartal davor, und es gibt Gründe dafür: die Umstellung im Werk im kalifornischen Fremont auf ein neueres Model 3; die Brandstiftung, die das Werk in Grünheide bei Berlin lahmlegte; Lieferprobleme, weil Schiffe von China nach Europa nicht auf ihrer üblichen Route verkehren konnten.
All das ist nachvollziehbar, und doch wurden eben 46 561 Autos zwar gebaut – aber nicht ausgeliefert. Das führt zur Frage: Ist die Nachfrage vielleicht doch nicht ganz so hoch wie bislang angenommen? In einem Statement der Deutschen Bank an Investoren heißt es: „Das bestätigt, dass es neben dem bekannten Produktions-Flaschenhals auch ein ernsthaftes Nachfrageproblem geben könnte.“
Im Vorjahresquartal hatte Tesla knapp 423 000 Fahrzeuge ausgeliefert, im vierten Quartal 2023 sogar 484 507 – ein Rekord, übertroffen nur vom chinesischen Autobauer BYD, der 525 409 Autos ausgeliefert hatte. Das bedeutet: Auch andere Konzerne bauen mittlerweile Elektroautos in enormen Mengen, vor allem in China, wo es zum Beispiel auch noch den Newcomer Xiaomi gibt. Die Produktionsprognose fürs komplette Jahr hat Tesla mittlerweile von 2,06 auf 1,9 Millionen Fahrzeuge angepasst. Morgan-Stanley-Analyst Adam Jones fragt deshalb: „Könnte es sein, dass Tesla heuer Verluste schreiben wird?“
Ergebnis einer Umfrage unter potenziellen Kunden: Nur 31 Prozent können sich vorstellen, einen Tesla zu kaufen
Der Zauber von Musk lag bislang darin, dass er selbst bei mäßigen Zahlen das Narrativ der großen Vision aufrechterhalten konnte – durch Präsentation neuer Modelle wie dem Cybertruck, Nebenideen wie der von Tesla als Heimstrom-Firma oder dem steten Hinweis darauf, das selbstfahrende Teslas bald Realität sein würden – auch im Mai 2015 sprach er davon, dass es spätestens Anfang 2017 so weit sein solle.
Der Zauber scheint verflogen, Musk kommt derzeit eher daher wie ein ganz normaler Firmenchef mit ganz normalen Maßnahmen aus dem Handbuch für Chefs strauchelnder Konzerne: Preise senken, Fokus auf erfolgreiche Modelle legen (95 Prozent der verkauften Autos waren entweder Model 3 oder Model Y) und der Versuch, Kunden über kostenlose Testmonate und häufigere Updates die Selbstfahr-Software schmackhaft zu machen.
Nur, und das ist eine weitere Zahl, die Kopfschmerzen bei Tesla bereiten sollte: Am Montag veröffentlichte die Nachrichtenagentur Reuters eine Studie der Analysefirma Caliber zu potenziellen Tesla-Käufern. Bei der ersten Erhebung im November 2021 sagten 70 Prozent der Befragten, sich den Kauf eines Tesla-Modells vorstellen zu können. Mehr als 80 Prozent gaben an, die Firma zu mögen und ihr zu vertrauen. Die aktuellen Zahlen: 31 Prozent können sich vorstellen, ein Tesla-Modell zu kaufen. Die Werte von BMW, Mercedes und Audi sind allesamt besser; sie liegen zwischen 44 und 47 Prozent. Und weniger als 60 Prozent sagen derzeit, sie mögen Tesla und vertrauen dem Unternehmen. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass Musk zum Verfall der Beliebtheit beiträgt“, sagt Caliber-Chef Sahar Silbershatz mit Verweis darauf, dass 83 Prozent der Befragten den Konzern mit dem Chef verknüpfen.
Wenn man sich nun erinnert an diesen 1. Mai 2015 in der Designfabrik in Los Angeles und daran, wie man damals dachte: Wow, diese Firma ist untrennbar mit diesem Genie verknüpft! Dann wird einem nun klar: Wahrscheinlich hat Tesla den Visionär Elon Musk noch nie so dringend gebraucht wie jetzt, im April 2024.
Jürgen Schmieder
Rubrik „Automobilbranche“ auf sueddeutsche.de

Eine ziemlich ausgewogene Analyse, wobei ich mit Prognosen nach dem Motto „Jetzt wird es aber eng für Tesla“ immer vorsichtig wäre. Aber tatsächlich könnte man sagen, dass Tesla sich jetzt in der „Normalitätshölle“ befindet:
– Nach Tests der meisten aktuellen Stromer, inklusive der aus China, muss man tatsächlich sagen, dass rein aus Nutzer-Sicht (also unabhängig von Konstruktionsvorteilen für Tesla) reichlich gute Alternativen bereit stehen. Das erste Model 3 war schon ein Knaller, bei dem man wegen des Gebotenen noch über vieles nicht Gebotene hinwegsehen konnte – dafür gibt es jetzt aber keinen Grund mehr.
– Die Gefahr für Tesla kommt, und hier lagen frühere Prognosen wohl doch richtig, vor allem von den etablierten Herstellern und nicht von den reihenweise platzenden Startups wie Fisker und Co.
– Ich habe den Cybertruck bislang nicht gefahren, halte das Ding aber dennoch für das totale Clowns-Auto und Musks persönlichen Edsel-Moment. Ohne die Verkaufszahlen im laufenden Jahr kann man das natürlich noch nicht belegen, doch der Vergleich zum Impact des Model 3/Y lässt da für den „Cyberdreck“ (Formulierung eines mir bekannten Entwicklungs-Profis) Übles Ahnen, zumal E-Pickups noch ein ganz schwieriges Pflaster sind (siehe gekappte Ziele für den F-150 Lightning).
– Das vielleicht größte Problem scheint mit der erhoffte Befreiungsschlag durch das Model 2 bzw. den „25.000 Euro-Tesla“ sein. Welches USP soll der haben? Kommt das lang versprochene FSD bis dahin wirklich? Oder wird es ein reiner Metoo-Stromer, für den der Tesla-Nimbus dann schon nicht mehr ausreicht? Schließlich kommen enorm viele vielversprechende „Volks“-Stromer innerhalb kurzer Zeit (Renault 5, diverse China-Modelle, neue Kias/Hyundais, Minis etc.).
Es bleibt jedenfalls spannend und so eine geniale Unternehmerpersönlichkeit wie Musk hat sicher noch Überraschungen parat. Zumal keiner vor ihm seit Henry Ford die Autowelt so krass umgekrempelt hat. Und das im Gegensatz zu manch anderen CEOs ohne peinliche Bettelei nach Verboten oder grüner Planwirtschaft (Grüße gehen raus nach Wolfsburg) Schadenfreude kann ich jedenfalls keine empfinden.
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