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Kaffee

Kaffeetrinker leben länger

Überraschung: Unter Kaffeetrinkern ist die Sterblichkeit geringer. Ist also alles falsch, was wir bisher über Kaffee dachten?

Ein Kommentar von Dagny Lüdemann, Chefreporterin Wissen von ZEIT ONLINE

„Also, ich würde jetzt nicht mit Kaffee anfangen.“ Britische Journalisten hatten den Glasgower Mediziner Naveed Sattar gefragt, was er von der neuesten Kaffeestudie halte. „Über Ursache und Wirkung sagt sie nichts“, meint Sattar. Aber was ist die Einschätzungeines Forschers wert, der von sich sagt, sein Leben lang passionierter Teetrinker zu sein?

Tatsächlich konnten Statistiker um Marc Gunter vom Imperial College London zeigen, dass länger lebt, wer mehr Kaffee trinkt – grob gesagt. Die Studie dazu haben sie in den Annals of Internal Medicine veröffentlicht (Gunter et al. 2017 [http://dx.doi.org/]). Nur gibt sie keinen Anlass, jetzt auf Kaffee umzusteigen. Die Arbeit ist vielmehr ein Paradebeispiel dafür, wie eine statistische Korrelation [https://de.statista.com/] zwischen zwei Dingen (hier: „Kaffeetrinken“ und „Sterben“) als Beweis dafür missverstanden werden kann, das eine sei die Ursache für das andere.

Was also besagt die Kaffeestudie?

Die Arbeit basiert auf der Auswertung von Gesundheitsdaten von mehr als einer halben Million Menschen aus zehn europäischen Ländern – beobachtet über mittlerweile gut 16 Jahre. Sie wurden im Rahmen der europäischen Langzeitstudie EPIC (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition) [http://epic.iarc.fr/] erhoben. Diesen Datensatz werteten die Forscher um Marc Gunter nun nach Kaffeetrinkern und Nicht-Kaffeetrinkern aus. Dies hätten die Forscher handwerklich sauber und sehr umfassend gemacht, sagen unabhängige Fachkollegen.

Heraus kam unter anderem, dass Menschen, die mehr Kaff ee konsumieren, eingeringeres Risiko bei allen Todesursachen haben, insbesondere wasKreislauferkrankungen und Krankheiten, die mit dem Verdauungstraktzusammenhängen, angeht. So war zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit der untersuchten Männer mit sehr hohem Kaffeekonsum (in Deutschland mehr als 580 Milliliter am Tag), innerhalb des Beobachtungszeitraumes zu sterben, zwölf Prozent geringer als unter Nicht-Kaffeetrinkern. Unter den Frauen waren es sieben Prozent. Um die gesundheitlichen Effekte von Kaffee isolierter betrachten zu können, rechneten die Forscher viele andere Einflüsse heraus, beispielsweise die Ernährung oder das Rauchen.

Nur wäre es ein gefährlicher Trugschluss, zu glauben, damit sei eindeutig belegt, derKaff ee habe das Leben all dieser Menschen verlängert. Derartige epidemiologische Studien sind nämlich schon vom Ansatz her nicht geeignet, so etwas zu beweisen.

Drei Tassen am Tag – vermutlich harmlos

Deshalb warnt auch Hauptautor Marc Gunter vor zu voreiligen Schlüssen: „Aufgrund der Grenzen beobachtender Forschung sind wir nicht an einem Punkt, eine Empfehlung für mehr oder weniger Kaffeekonsum auszusprechen.“ Die Ergebnisse legten dennoch nahe, dass moderater Kaffeegenuss von etwa drei Tassen am Tag nicht schädlich für die Gesundheit sei, sondern das Getränk sogar Vorteile haben könnte.

Die Ursache für den Effekt muss nicht der Kaffee sein

Gunter Kuhnle von der britischen Universität Reading, der nicht an der Studie mitwirkte, bewertet die beobachteten Effekte als eher klein. Solche Studienergebnisse würden zudem gerne sensationalisiert, obwohl sie meist keine Aussagen zur Kausalität zuließen– also in diesem Fall zu der Frage, ob Kaffee wirklich die Ursache des Effekts war.

Das Image von Kaffee wird besser

Lange Zeit galt Kaffee eher als gesundheitsschädlich. Er stand unter Verdacht, krebserregend zu sein und Herzkreislauferkrankungen wie Infarkte zu begünstigen. Die neue Studie reiht sich nun in eine wachsende Zahl von Untersuchungen [http://www.faz.net/] ein, die keine negativen oder gar positiven Effekte feststellen [https://www.theguardian.com/].

Erst im vergangenen Jahr gab die der Weltgesundheitsorganisation angegliederte Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) bekannt, ein erhöhtes Krebsrisiko durch Kaffee lasse sich nicht belegen [https://www.theguardian.com/] – gleichwohl könnten zu heiße Getränke Tumorerkrankungen fördern.

Für den Ernährungsepidemiologen Kuhnle schließt die aktuelle Untersuchung eine Lücke. So sei der Zusammenhang zwischen Gesamtsterblichkeit und Kaffeekonsum zwar bereits in den USA untersucht worden, nicht aber in Europa. Das sei vor allem deswegen interessant, da sich Stellenwert und Zubereitung von Kaffee diesseits und jenseits des Atlantiks erheblich unterscheiden würden.

Ist der Grund gar nicht der Kaffee?

„In den USA ist Kaffee ein Standardgetränk und wird insbesondere auch von Menschen niedrigerer Einkommensklassen konsumiert, während etwa in Großbritannien Tee verbreiteter und Kaffee die Ausnahme ist,“ sagte Kuhnle. Der Sozialstatus habe jedoch große Auswirkung auf die Gesundheit. Leider betrachte die neue Studie einzelne EU-Länder nicht separat.

Kaffee enthält nicht nur Koffein, sondern eine Vielzahl an Wirkstoffen, wie zum Beispiel Flavonoide, denen immer wieder ein gesundheitsfördernder Effekt nachgesagt wird. Kuhnle fragt sich, ob derartige Stoffe den Zusammenhang zwischen Kaffeetrinken und Sterblichkeit erklären könnten: „Ist das der Effekt von bioaktiven Verbindungen im Kaffee, die man dann etwa isolieren oder den Kaffee besser zubereiten könnte, oder gibtes einen anderen Grund?“

Es sei auch möglich, dass die gesundheitlichen Effekte gar nicht vom Kaffee stammen,sondern das Getränk mit dem eigentlichen Grund für diese Eff ekte lediglich in einerBeziehung steht. So sei es denkbar, dass Menschen mit erhöhtem Krankheitsrisiko generell weniger Kaffee trinken. Die aktuelle Untersuchung deute zumindest darauf hin, dass Kaffeekonsum nicht ungesund sei. „Ob er gesund ist, ist eine andere Frage.“

Ähnlich sieht es Kevin McConway, Statistiker und emeritierter Professor von derbritischen Open University. Die europäische und eine ähnliche gleichzeitig erscheinendeStudie, die sich auf die Eff ekte von Kaff ee auf die nichtweiße Bevölkerung der USA konzentriert, seien gut gemacht, sehr groß angelegt und würden zu ähnlichenErgebnissen kommen. „Beide Studien bestätigen mich als Kaffeetrinker darin, dass meine Angewohnheit vermutlich nicht schlecht für mich ist“, sagt McConway. Wäre eraber nicht ohnehin schon Kaffeetrinker, würde auch er jetzt nicht damit anfangen.

Sir David Spiegelhalter, Risikoforscher an der Uni Cambridge, rückt das Ganze dann auch statistisch noch mal ins Verhältnis: Selbst wenn Kaffee nachweisbar die Ursache für das längere Leben der Studienteilnehmer wäre, hieße das zu Ende gedacht: Das Leben eines Mannes würde sich bei einer Tasse mehr pro Tag im Durchschnitt um ganze neun Minuten, das einer Frau um drei Minuten verlängern. „Wir sollten uns also vielleicht entspannen und es genießen.“

Auszug aus «ZEIT ONLINE Wissen»

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