Zum Inhalt springen

Die Kunst des miserablen Lebens

Umgeben Sie sich mit Miesepetern

Ein Beitrag von Rolf Dobelli

Falls Sie selbst ein eher optimistischer Mensch sind – Achtung: Das ist eigentlich eine schlechte Voraussetzung für ein miserables Leben – dann tun Sie sich wenigstens den Gefallen. und umgeben Sie sich mit Miesepetern.

In Kürze werden diese Menschen Sie mit in ihre Schattenwelt ziehen. Glückliche Menschen bringen Ihnen nichts: Ihr Lachen, ihre Lebensfreude und Begeisterung wecken höchstens Neid in Ihnen, und außerdem geht Ihnen all dieses aufgesetzte positive Denken sowieso auf den Wecker, oder?

Positive Menschen sind gefährlich, weil ansteckend. schlimmer als Grippeviren. Halten Sie einen Sicherheitsabstand ein. Und vergessen Sie den idiotischen Spruch mit dem halbleeren bzw. halbvollen Glas. Egal wie voll das Glas ist, in Wirklichkeit enthält es ohnehin fast nichts.

Ein kleiner Exkurs in die Chemie gefällig? Ein Wassermolekül besteht aus einem Sauerstoff- und zwei Wasserstoffatomen. Jedes Atom wiederum besteht seinerseits aus einem Atomkern und Elektronen, die den Atomkern umkreisen. Wenn Sie ein ganzes Atom auf die Größe von Paris ausdehnen, ist der Atomkern gerade einmal so groß wie eine Melone, während die Elektronen weit weg in den Banlieues herumlungern. Dazwischen? Nichts. Das pure Nichts. Folglich ist selbst ein volles Glas im Grunde leer

„Ein negativer Kopf wird nie ein positives Leven haben“ lautet eim alter Spruch. Sie sollten ihn unbedingt beherzigen, denn ein miserables Leben ist ja Ihr erklärtes Ziel. Und Sie müssen sich dafür nicht einmal anstrengen. Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann und sein Kollege Amos Tversky haben herausgefunden, dass negative Dinge in unserer Wahrnehmung doppelt so viel zählen wie positive. Ein Verlust an der Börse von nur 5 Prozent wird Sie emotional genauso stark bewegen wie ein Gewinn von 10 Prozent.

Oder: Sie leiden an einem vereiterten Zahn genauso, wie Sie sich über eine Beförderung freuen mögen, obwohl der Karriereschritt objektiv gesehen viel wichtiger ist. Sie brauchen also bloß durch die Welt zu schreiten, sich die naturgemäß gleich verteilten positiven und negativen Dinge anzuschauen, und Sie werden automatisch überzeugt sein, dass das Negative überwiegt. Die negative Haltung ist also die natürlichste der Welt. Sie müssen sich dafür nicht schlecht fühlen – obwohl, doch: Bitte, fühlen Sie sich schlecht!

Die leise Stimme der Vernunft

„Your are who you hang out with“ heißt ein Sprichwort auf Englisch. „Du bist, mit wem du dich umgibst“. Wenn Sie viel Zeit mit jemandem verbringen, der ständig negativ drauf ist, werden Sie feststellen, dass die Negativität auf Sie abfärbt. Dieses Phänomen nennt man „emotionale Ansteckung“. Wie bei jeder Form der Ansteckung merken wir kaum, was passiert. Wenn Sie sich mit negativen Personen umgeben, beginnen Sie automatisch, ihre Mimik, Stimme, Körpersprache, ihre Bewegungen und natürlich auch ihre Haltung zu imitieren – die geistige ebenso wie die körperliche. Bevor Sie es merken, ist die negative Haltung Teil Ihrer Persönlichkeit geworden.

Weil dies alles unbewusst abläuft, empfehle ich Ihnen: Machen Sie einen weiten Bogen um negative Menschen. Dieser Spruch hat mir dabei immer geholfen: „Don’t let negative people rent space in your head“ („Lassen Sie negative Menschen nicht in Ihrem Hirn wohnen“).

Warum ist die negative Haltung so schlimm?

Aus drei Gründen: Erstens führt sie nachweislich zu höherem Stress. Chronischer Stress wiederum schwächt Ihr Immunsystem. Zweitens: Der Umgang mit Personen, die übermäßig negativ eingestellt sind, wird Ihre Persönliche Entwicklung behindern. Es drückt Ihr Selbstwertgefühl in den Keller, Sie werden sich weniger zutrauen. Und drittens werden Sie schlicht und einfach weniger glücklich, wenn Sie dauernd in schwarzer Galle schwimmen – ein ziemlich hoher Preis, und ohne Gegenwert.

Die gute Nachricht: Emotionale Ansteckung funktioniert auch in die andere Richtung. Umgeben Sie sich mit super positiven Menschen, und Sie werden alle Vorteile ernten – stärkeres Immunsystem, mehr Kreativität, einen wacheren Geist, Zufriedenheit, persönliches Wachstum, mehr Erfolg und ein nachweislich längeres Leben.

Aus der NZZ am Sonntag

Rolf Ulrich Dobelli ist schweizer Schriftsteller und Gründer von World.Minds, einer Community von weltweit führenden Köpfen sowie Autor des Buches „Die Kunst des klaren Denkens“