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Das Ende der Willkommenskultur

Quälend langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Politologe Samuel P. Huntington mit seinem Buch „Kampf der Kulturen“ recht gehabt haben könnte. Das zeigen auch die sexuellen Übergriffe im Freibad von Gelnhausen.

Ein Kommentar von Henryk M. Broder

Im Freibad der hessischen Kleinstadt Gelnhausen sollen am vergangenen Sonntag [Anm. d. Red.: 27.06.2025] vier aus Syrien stammende Männer im Alter von 18 bis 28 Jahren acht Mädchen zwischen 11 und 16 Jahren sexuell missbraucht haben. So vorsichtig muss man es formulieren, weil die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind und bis zu einem Urteil auch in diesem Fall die Unschuldsvermutung gilt.

Soweit bis jtzt bekannt, wurden die Mädchen nicht zu sexuellen Handlungen genötigt, sondern „nur“ am ganzen Körper begrabscht. Der Vorfall hätte vermutlich allenfalls in Gelnhausen und Umgebung für eine begrenzte Aufregung gesorgt, wäre der Bürgermeister der Gemeinde, Christian Litzinger, nicht vor Kameras und Mikrofone getreten, um eine Erklärung abzugeben.

„Bei hohen Temperaturen“, sagte er, lägen „die Gemüter manchmal blank“, aber das Personal sei „entsprechend geschult“, man werde „auch weiter sensibilisieren“, außerdem sei die Stadtpolizei „jetzt vor Ort“, und er hoffe, „dass die entsprechenden Verantwortlichen jetzt zur Verantwortung gezogen werden“. Eine Stellungnahme, die in Graz unter der Rubrik „Die Verschlimmbesserung des Tages abgelegt worden wäre.

Der „Kampf der Kulturen“ findet täglich und in aller Offenheit statt

Trotzdem lag der um De-Eskalation bemühte Bürgermeister von Gelnhausen nicht ganz daneben. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Wetter und dem menschlichen Verhalten. Im Winter, wenn die Freibäder geschlossen sind, kommt es nicht zu sexuellen Übergriffen am und im Wasserbecken, dafür häufen sich die Fälle in überfüllten Bussen und Bahnen.

Zur Zeit des britischen Mandats in Palästina galt für Mörder, die ihre Taten unter dem Einfluss des „Hamsin“, eines warmen Windes aus der Wüste, gegangen haben, eine besondere Regelung. Sie wurden nicht gehängt, sondern dauerhaft eingesperrt. Und wer im Alpenvorland lebt, der weiß aus leidvoller Erfahrung, was ein ordentlicher Föhn anrichten kann.

Dass über Gelnhausen derzeit so hitzig diskutiert wird, hat natürlich auch andere Gründe. Langsam, quälend langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass der US-amerikanische Politologe Samuel P. Huntington mit seinem 1996, also vor fast 30 Jahren, erschienenen Buch „The Clash of Civilizations“ recht gehabt haben könnte, obwohl er von vielen Kollegen in den USA und Europa zum Panikmacher und Rassisten erklärt wurde, der Ressentiments verbreiten würde. Der „Kampf der Kulturen“, so der nicht ganz korrekte Titel der deutschen Ausgabe des Huntington-Buches, damals noch eine dystopische Fantasie, findet heute täglich und in aller Offenheit statt. In Schwimmbädern, Kitas und Supermärkten, in Schulen und Universitäten, auf Volksfesten, in Krankenhäusern und im ÖPNV. Und immer wieder ist es ein Einzelfall, noch ehe er dem Haftrichter vorgeführt wurde. Dabei leiden Millionen von Menschen unter psychischen Störungen, ohne dass sie zum Messer greifen und um sich stechen würden.

Und je mehr dergleichen passiert, umso weniger bleibt im Gedächtnis haften. An den 11. September und den Anschlag am Breitscheidplatz kann sich (fast) jeder erinnern, aber wer weiß noch, was in Bramstedt, Mannheim, Solingen Bad Oeynhausen, Magdeburg und Aschaffenburg passiert ist? Das GEfühl der Unsicherheit ist nicht an Koordinaten gebunden. es breitet sich schleichend aus, wie herbstlicher Bodennebel.

Die weithin unterschätzte deutsche Kartoffel staunt allerdings, wenn sie mit Hilfe der „Tagesthemen“ Zeugin einer Demonstration wird, auf der das „Kalifat“ als „die Lösung aller Probleme“ verkündet wird – von Personen, die nichts über das Land wissen, in das sie gekommen sind, das sie verachten, weil es sie gewähren lässt und ihnen wenig bis nichts abverlangt.

Es ist das Ende der „Willkommenskultur“, die vor rund zehn Jahren unter anderem mit einer Parteitagsrede von Katrin Göring-Eckardt begann, mit der die grüne Spitzenpolitikerin ihrer großen Freude darüber zum Ausdruck verlieh, dass sich „unser Land ändern“ wird, „und zwar drastisch“. Es werde „jünger, bunter, und wahrscheinlich auch religiöser werden“. Alle vorhersagen von Göring-Eckardt sind eingetroffen. Deutschland ist jünger, bunter und religiöser geworden, obwohl den beiden christlichen Kirchen die Gläubigen davonlaufen. Widerstandsfähiger, oder wie man heute sagt resilienter, ist es nicht geworden. Vor dem Hintergrund der Messerattacken, Massenschlägereien und Vergewaltigungen, die inzwischen zum Alltag gehören, ist das, was in Gelnhausen passierte, für sich genommen ein Fall für die Strafverfolgung; als Teil eines größeren Bildes allerdings von überörtlicher Bedeutung. Wie das Hessiche Landeskriminalamt bekannt gab, wurden 2024 in Hessens Schwimmbädern 74 Fälle sexueller Gewalt registriert.

Und was den Bürgermeister angeht, über den jetzt gespottet wird; es könnte doch sein, dass er sich dabei etwas gedacht hat, als er erklärte, „dass die entsprechenden Verantwortlichen jetzt zur Verantwortung gezogen werden“ müssten. Hatte er etwa Katrin Göring-Eckardt vor Augen? Dann wäre der Stadtvorsteher rehabilitiert und die ganze Aufregung vergeblich gewesen.

Ein Beitrag in der „WELT“

Henryk M. Broder, 1946 in Katowice geboren, nach vielen Wegen und Umwegen seit 2011 Reporter bei der „WELT“