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Das 30-Prozent-Bio-Ausbauziel hat ausgedient

Die russische Invasion der Ukraine hat viele unerwartete Folgen. Eine davon ist ein rasanter Anstieg der Preise für konventionelle Lebensmittel, weit schneller als für Bio-Lebensmittel. Das macht es zunehmend unwahrscheinlicher, dass das Ausbauziel von 30 % Ökolandbau bis 2030 erreicht werden kann. Ein Kommentar, was zu tun ist.

Quer durch die EU, von den Bundesländern bis zur EU-Kommission, finden fast alle Politiker es großartig, einem Quotenziel für den Ökolandbau nachzurennen. 30 Prozent bis 2030 sollen es laut Koalitionsvertrag sein. Auch Cem Özdemir hält eisern an diesem alten Sprechzettel fest. Ende 2021 war das Ziel 30 Prozent Bio-Fläche bis 2030 keine Utopie. Doch mittlerweile kann es nicht mehr erreicht werden.

Schon vor dem Ukraine-Krieg wurde zu wenig für das Öko-Ausbauziel getan

Schon vor dem Krieg in der Ukraine beschwerten sich Vertreter von Ökoverbänden, dass es kein schlüssiges Konzept zum Erreichen des Ausbauziels für Bio zu schaffen. Politische Sonntagsreden gab es reichlich, konkrete Pläne, wie der Ökolandbau wirtschaftlich attraktiver werden soll, hingegen kaum, einige Nebelkerzen ausgenommen. Aber was sich finanziell nicht rechnet, ist nicht nachhaltig, egal wie viele Bienen dann vielleicht herumfliegen. Da helfen auch Sonntagsreden nichts.

Warum steigen die Preise für konventionelle Nahrung schneller als für Bio-Produkte?

Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine hat sich der wirtschaftliche Rahmen für die Landwirtschaft massiv verändert, für konventionelle genauso wie für ökologische Betriebe. Der Markt für konventionelle Lebensmittel ist global, der für Bioprodukte bestenfalls regional europäisch, eher nur national. Weil die globale Nachfrage so stark steigt, sind konventionelle Produkte auf dem besten Weg, teurer als Ökoware zu werden. Und der Bio-Konsum geht weiter zurück.

Warum verzögert der Ukraine-Krieg die Umstellung auf Bio?

Wenn heute schon manche Ökobetriebe darüber nachdenken, ihr Getreide als konventionelle Ware zu verkaufen, weil Biogetreide billiger als normales Getreide wird, wer soll dann noch auf Bio umstellen? Der alte Vorteil, dass Ökoware dem Erzeuger mehr bringt, fällt zunehmend weg. Eines Tages kommt er wahrscheinlich wieder, aber selbst, wenn morgen Frieden in der Ukraine wäre: Bis die Lage auf den Weltmärkten wieder „normal“ ist, wird es noch mindestens zwei bis drei Jahre dauern. Falls der Krieg noch wesentlich länger dauern sollte, würde das Problem noch gravierender. Trotz aktueller Ausnahmeregelungen wird in der Bio-Nutztierhaltung überlegt: Wie lange reicht das Ökofutter noch?

Wenn das Öko-Ausbauziel unrealistisch ist, hilft es nicht weiter

Selbst wenn nur zwei Jahre lang kaum noch Betriebe auf Öko umstellen, ist das Ausbauziel von 30 Prozent nicht mehr zu schaffen. Weniger Bauern stellen auf Bio um – und es wird auch weniger Bio gekauft. Doch ein Ziel, von dem man heute schon weiß, dass es nicht erreicht werden kann, ist nicht hilfreich, sondern Träumerei. Es gehört weg.

Wie Bio dauerhaft aus der Nische herauskommt

Anstatt sich an planwirtschaftliche, ideologisch motivierte Ziele zu klammern, muss Cem Özdemir jetzt agil führen. Er muss aus seinem agrarpolitischen Tiefschlaf erwachen. Unter der Ideologie – egal welcher politischen Farbe – schlägt das Herz des Weltmarkts. Man kann das verurteilen oder ignorieren, aber dann baut man sich höchstens eine kleine Nische und fällt früher oder später schmerzhaft auf die Nase. Wie letzteres laufen kann, sieht man bei den Bio-Milchpreisen, wo Öko-Landwirte trotz der Umstellungskosten bald in einer Situation sein können, wo konventionelle Milchpreise bald höher als Biomilchpreise sind.  Wenn Bio wirklich aus der Nische soll, muss es auch im Kontext des Weltmarkts funktionieren. Das bedeutet Kosteneffizienz, Steigerung der Produktivität und das Erschließen neuer Märkte auch im Ausland. Kurz: Bio muss noch wirtschaftlicher werden.

Was konventionelle Betriebe weiterhin von Ökobetrieben lernen können

Konventionelle Betriebe dürfen wegen der aktuellen wirtschaftlichen Lage aber nicht in die Falle tappen, den ökologisch wirtschaftenden Kolleginnen und Kollegen hämische Vorhaltungen im Sinne von „Wir müssen das schon seit Jahrzehnten tun“ zu machen. Denn die konventionelle Landwirtschaft hat ihrerseits noch viel Arbeit, ökologisch nachhaltiger zu werden. Die Lösung ist ähnlich wie bei den Biobetrieben: Es braucht mehr Produktivität und Offenheit für neue Technologie – aber auch für das Lernen von der Bio-Landwirtschaft. Ich halte es für übertrieben zu sagen, wie es unlängst der Syngenta-Chef tat: „Bio ist keine Lösung für die Ernährungskrise„. Konventionelle und ökologische Berufskolleginnen und Kollegen müssen Hand in Hand arbeiten.

Was Cem Özdemir jetzt für die Landwirtschaft tun muss

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat die Chance, ideologische Gräben zu überwinden und die Landwirtschaft als Ganzes voranzubringen. Er muss dazu die Hardliner in der Regierung zurückweisen, die jetzt auf alte Ideologie pochen – à la Biosprit ist blöd, CRISPR/Cas ist blöd und Profit ist blöd. Nachhaltigkeit und Umweltschutz müssen betrieblich attraktiv sein. Dann klappt es sowohl mit dem Ausbau der Öko- als auch mit der Transformation der konventionellen Landwirtschaft. Träume von Prozentsätzen helfen nicht.