National verklemmt statt selbstbewusst deutsch – so seltsam geht Deutschland mit Islam und Migration um
Ein Kommentar von Eric Gujer, Chefredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung“
Geschieht ein Messermord, reagiert die Politik immer gleich. Auf grosse Worte folgen keine Taten. Das liegt an der Gleichgültigkeit von Innenministerin Faeser – aber nicht nur.
Wer vor vierzig Jahren über den Mannheimer Marktplatz ging, konnte dies gefahrlos tun. Das Schlimmste, was einen anfiel, war die Tristesse angesichts der einfallslosen Nachkriegsarchitektur, wo einst Barockfassaden den Platz säumten. Deutschland hat sich verändert – und das besonders seit dem Beginn der ungesteuerten Massenmigration.
Wie sicher ist Deutschland noch? Das fragt sich nicht nur das Ausland angesichts der regelmässigen Meldungen über Messergewalt mit Schwerverletzten und Toten. Das fragen sich auch die Deutschen selbst, deren Sicherheitsgefühl gelitten hat.
Die Hälfte der Bürger fühlt sich laut einer Umfrage des Bundeskriminalamtes nachts in öffentlichen Verkehrsmitteln unwohl. Zwei Drittel der Frauen machen einen Bogen um bestimmte Orte. Die Politik schweigt zu den No-go-Areas. Die Straftaten nehmen zu, besonders Gruppenvergewaltigungen und Messerattacken, bei denen Migranten überrepräsentiert sind. Ist das noch mein Deutschland, denken da viele Deutsche.
Asylmigranten bei Gewaltdelikten immer noch stark überrepräsentiert
Anteil der Asylmigranten (ohne Ukrainer)¹ an allen Tatverdächtigen im Jahr 2022 und 2021 (in Prozent)

¹ Flüchtlinge aus der Ukraine müssen kein Asylverfahren durchlaufen. Im Jahr 2022 beantragten nur 705 Asyl
² sowie Tötung auf Verlangen
Die Stimmungslage ist das Ergebnis einer verfehlten Politik der inneren Sicherheit und zugleich einer in Europa ziemlich einmaligen ideologischen Verwirrung.
Schon Kanzlerin Merkel ignorierte die Folgen der Flüchtlingskrise. Mit dem Machtwechsel blieb aus, was mit diesem verbunden sein sollte: eine Korrektur der früheren Fehler. Die Politik verschlimmerte sich noch, und das ist mit einem Namen verbunden: Nancy Faeser.
Berlin schätzt die Bedrohungslage falsch ein
Die Bundesinnenministerin versicherte nach dem Mord an einem Polizisten auf dem Mannheimer Marktplatz eilends, sie habe schon immer vor Islamismus gewarnt. Das trifft zu, verschleiert aber, dass sie die Gefahr des politisierten Islams systematisch herunterspielt. Zwar wollen Faeser und der Kanzler den Abschiebestopp für Afghanistan und Syrien aufheben. Mehr Ausweisungen kündigte Scholz schon im letzten Jahr an. Passiert ist seither nichts.
Die Politik wird bald zum Alltag zurückkehren wie nach jedem Messermord. Faeser glaubt ohnehin, die grösste Bedrohung gehe vom Rechtsextremismus aus. Zahlenmässig stimmt das wegen der Propagandadelikte, die es weder beim Linksextremismus noch beim Islamismus gibt. Nazi-Schmierereien kosten jedoch keine Menschenleben.
Betrachtet man Terrorismus und andere schwere Delikte, bei denen der Generalbundesanwalt ermittelt, zeigt sich ein anderes Bild. Hier liegt der Islamismus weit vorne; nichts ist im Bereich des Staatsschutzes gefährlicher. Nur wahrhaben will das die Regierung nicht, und das am wenigsten die dafür zuständige Ministerin.
Zum Islamismus muss man die Straftaten hinzuzählen, bei denen sich keine klare Grenze zwischen Terrorismus und psychischer Erkrankung ziehen lässt. Viele Messerstecher gelten als vermindert schuldfähig. Doch schliessen sich Krankheit und Politik nicht aus.
Die Ideologie bestimmt, auf wen der Täter in seinem Wahn losgeht. Das gilt für alle Extremismen. Auch der Rechtsterrorist von Hanau war psychisch nicht gesund. Wegen seiner Gesinnung suchte er die Opfer gezielt unter Ausländern. Er war politisch motiviert.
Beamte des Bundeskriminalamtes kritisieren, dass Faeser die Ressourcen zur Bekämpfung des Islamismus zurückgefahren habe zugunsten des Rechtsextremismus. Das wirkt glaubhaft, betrachtet man den Aufwand, den die Behörden bei den Reichsbürgern treiben: Ermittlungen wie zuletzt gegen den Linksterrorismus, Prozesse an drei Orten und mit eigens errichtetem Gerichtsgebäude. Doch fast alle mutmasslichen Straftaten der Gruppe um einen Prinzen von der traurigen Gestalt sind Vorbereitungshandlungen, bei denen im Gegensatz zum Islamismus niemand zu Schaden gekommen ist.
Wie Faeser agiert und agitiert, zeigt eine vom Innenministerium herausgegebene Studie zum Islam mit einem Vorwort der Ministerin.Danach sind nicht die Islamisten das Problem, sondern die Bürger, von denen jeder zweite muslimfeindlich sein soll.
Die Religionsfreiheit schützt allerdings auch Religionskritik – auch am Islam, an seinen Institutionen und natürlich an den Gläubigen, wenn deren Verhalten den gesellschaftlichen Frieden stört.
Zudem erweist sich die Migrationspolitik als unfähig, den Zustrom junger Männer aus muslimischen Ländern wirksam zu bremsen. Doch Geschlecht, Alter und Religion bestimmen wesentlich, wer zum Messer greift. So ist es auch kein Wunder, dass es sich beim Täter vom Mannheim um einen fünfundzwanzigjährigen Afghanen handelt.
Mit alldem liesse sich vermutlich zurechtkommen, wenn in deutschen Köpfen nicht ein grosses Durcheinander bezüglich des Islams und der Migration herrschte. Zu wenige Politiker und Journalisten trauen sich, Fakten und Fehlentwicklungen beim Namen zu nennen.
Der öffentlichrechtliche Rundfunk manipuliert sogar. Die ARD ist sich sicher, dass der in Mannheim verletzte Aktivist „Islamhasser“ ist. Beim Täter blieb man zurückhaltend. Die Berichterstattung identifizierte ihn nicht und titulierte ihn nicht als Islamisten. Dabei zeigt ein Video, wie der Afghane den Stand der antiislamischen „Bürgerbewegung Pax Europa“ auskundschaftete. Die Tat geschah vorsätzlich, mit politischem Motiv und der Absicht einer öffentlichen Wirkung. Das ist die kürzeste Definition von Terrorismus.
Das ZDF brachte eine dürre Meldung zum Tod des Polizisten erst am Ende der Nachrichten und verschwieg den Hintergrund des Täters. Zuvor hatte man ausführlich berichtet, wie Bundespräsident Steinmeier an einer Gedenkfeier für einen vor fünf Jahren ermordeten Politiker zum Kampf gegen den rechten Terror aufrief. Wenn Steinmeier nicht auch die Beerdigung des Polizisten besucht und vor islamistischem Terror warnt, entlarvt er die ganze Heuchelei und Einseitigkeit des «Kampfes gegen rechts».
Bei den rechtsradikalen Jugendlichen auf Sylt hatten die staatsnahen Sender weniger Hemmungen. Ihre Gesichter zeigte man unverpixelt. Bundestagspräsidentin Bas forderte für die Schreihälse die Höchststrafe – bei Volksverhetzung fünf Jahre Haft. Zum Vergleich: Vier jugendliche Täter, die in einer Flüchtlingsunterkunft eine vierzehnjährige vergewaltigt hatten, erhielten Haftstrafen von nur zwei Jahren. So weit ist man inzwischen: Die protokollarisch zweithöchste Frau im Staat propagiert linke Gesinnungsjustiz.
Der Linken ist Patriotismus suspekt, und die Rechte verharmlost die NS-Geschichte
Was ist das für ein Land, in dem sich offenbar vor allem die Einheimischen verdächtig machen? Was ist das für ein Land, in dem anscheinend nur Ausländer volle Persönlichkeitsrechte und den Schutz des Rechtsstaats geniessen? Es ist ein Land, in dem das Epizentrum der Geschichte – der Nationalsozialismus – ein unverkrampftes Nationalgefühl und einen von Übertreibungen freien Selbstbehauptungswillen verhindert.
Die Linke kultiviert den Selbsthass. Sie will das Deutsche im Weltgeist auflösen. «Deutschland verrecke» lautet die Losung der radikalen Linken. Bei Robert Habeck schwächte sich das zum Geständnis ab: „Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen.“
Die Nationalkonservativen sind nie aus dem Schatten des Nationalsozialismus herausgetreten. Sie verharmlosen ihn wie Alexander Gauland („Vogelschiss“), oder sie flirten mit braunem Gedankengut und braunen Formulierungen wie Björn Höcke. Die Mitte behilft sich mit lauem Verfassungspatriotismus. Mourir pour le Grundgesetz? Ach, heute lieber nicht.
Auf dieser Grundlage ist es unmöglich, Migration zu bejahen und ihr trotzdem Grenzen zu setzen. Es scheint undenkbar, offen für Fremdes zu sein und zugleich dem islamistischen Herrschaftsanspruch entgegenzutreten. Zwischen Moralismus und Nationalismus gibt es nichts Drittes. Wenigstens nichts, was selbstbewusst deutsch und dennoch frei von Deutschtümelei wäre. Die wahre deutsche Staatsräson ist nationale Verklemmung.
Der Inlandgeheimdienst betrachtet einen „ethnisch-kulturellen Volksbegriff“ als rassistisch, obwohl die CDU mit der Parole „Kinder statt Inder“ Wahlkampf machte und Nichtdeutsche mit einer Kampagne gegen den Doppelpass ausgrenzte. Was einst Positionen der Union waren und damit verfassungskonform, sind heute Positionen der AfD und damit verfassungsfeindlich.
Linke wie Rechte verkennen, dass die Bevölkerung der ideologischen Deutungskämpfe überdrüssig ist. Diese will nicht als muslimfeindlich und rassistisch verunglimpft werden, wenn sie im Zustrom von Migranten aus einem fremden Kulturkreis ein Risiko sieht. Sie kann erst recht nichts mit dem Blut-und-Boden-Sound von Höcke und Konsorten anfangen.
Die Menschen haben genug von politischen Spielen, die ihren Alltag nicht verbessern. Sie wollen in Sicherheit leben und ohne Angst über einen Marktplatz oder durch einen dunklen Park gehen. Doch das Einfache war in Deutschland stets das Schwierigste.
Auszug aus dem Newsletter „Der andere Blick„
„Der andere Blick“ erscheint immer freitags in der „Neuen Zürcher Zeitung“
