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Es steht Dir nicht zu, Dich zu beschweren!

Schon mal gehört oder gesagt? Drei Gründe, warum das nicht hilft, sondern nur schadet.

Ein Beitrag von Amrei Bahr

Wer von Überlastung, Erschöpfung, Burnout, Existenzängsten o.ä. berichtet, bekommt schnell mal gesagt: Andere sind noch schlechter dran als Du, also beschwer Dich nicht! Oft denken wir das auch über uns selbst. Warum sollten wir uns diese Reaktion zukünftig sparen?

  1. Sie ist unnötig. Es gibt keine Obergrenze für die Zahl berechtigter Anliegen (nur Ressourcen zu deren Unterstützung sind limitiert, dazu gleich mehr). Deshalb hat’s keinen Sinn, Anliegen abzuwerten & Menschen ihr Recht auf Thematisierung abzusprechen.

2. Berechtigte Anliegen lassen sich nicht dadurch delegitimieren, dass es andere berechtigte Anliegen gibt. Wir können über die Dringlichkeit diskutieren, sich ihrer anzunehmen. Aber das heißt nicht, dass sie nicht ausgesprochen werden sollten!

3. Wir sollten uns nicht an schlechten Bedingungen orientieren (auch bekannt als ‚race to the bottom‘ oder Unterbietungswettbewerb). Statt zu sagen: „beschwer Dich nicht, anderen geht es noch schlechter“ sollten wir besser sagen: „Allen sollte es so gut gehen wie möglich!“

Denn sonst handeln wir uns ungute Konsequenzen ein: Für fast jede Person, der es schlecht geht, findet sich vermutlich eine, der es noch schlechter geht. Wollen wir aber in Deutschland von Armut Betroffenen sagen: Beschwert Euch nicht, Menschen im Globalen Süden geht’s noch schlechter? Nein!

Wem geht‘s dann noch schlecht genug, um sich beschweren zu dürfen? Und: Was passiert mit den Anliegen derer, denen es ’nicht schlecht genug‘ geht? Wenn sie nicht geäußert werden dürfen, geraten sie aus dem Blick. Auch dann, wenn sie berechtigt sind. Nicht gut!

Deshalb: Statt dem Impuls zu folgen, auf Schlechtergestellte zu verweisen, sollten wir lieber darüber sprechen, wie möglichst gute Arbeits- & Lebensbedingungen für alle Menschen aussehen können, & gemeinsam dafür kämpfen, sie für alle zu erreichen.

Weil aber individuelle Ressourcen begrenzt sind, müssen wir dabei priorisieren. Es liegt nahe, dass wir uns für Anliegen einsetzen, die uns betreffen bzw. an denen wir besonderes Interesse haben. Das ist auch wichtig, damit für diese Anliegen überhaupt jemand einsteht.

Statt also Leute zurechtzuweisen, weil‘s anderen schlechter geht, & ihnen ihr Recht abzusprechen, sie betreffende Missstände zu thematisieren, können wir ihnen einfach zugestehen, dass sie ihr Anliegen vorbringen. Damit nehmen wir noch niemandem was weg.

Selbstverständlich sind auch kollektive/institutionelle Ressourcen begrenzt. D.h. wir müssen diskutieren, für welche Anliegen sie eingesetzt werden. Erst hier kommt es zur Konkurrenz der Anliegen. Aber berechtigte Anliegen von vornherein davon ausschließen wäre ein Vorgriff.

Schließlich können & sollten wir solidarisch sein mit denen, die andere Anliegen haben als wir. So können wir einander helfen, bestehende Missstände auszuräumen, statt sie weiter zu stabilisieren.

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Amrei ist Juniorprofessorin für Philosophie der Technik & Information an der Uni Stuttgart