Städte ohne ausreichend Bepflanzung werden im Sommer unerträglich heiß. Angesichts der häufiger auftretenden Hitzewellen müssen sie dringend neu geplant werden. Was es braucht: mehr Grün und mehr Wasser.
Ein Kommentar von Alfons Kaiser (FAZ)
Die Hitzwelle macht es deutlich: Unsere Städte müssen grüner werden
Eine der schönsten und schaurigsten Seiten im Internet ist die Facebook-Gruppe „Gärten des Grauens“. Ein Biologe sammelt dafür seit Jahren Fotos von Vorgärten, die mit Platten, Beton oder Kies so versiegelt sind, dass nicht einmal ein Grashalm aus den Ritzen herausschauen kann. Die Bilder, zum Heulen komisch, sind seltsame Dokumente falsch verstandener Ordnungsliebe, die sich überall dort breitmacht, wo die Natur zurückgedrängt werden kann.
Diese Spielform deutscher Tristesse hat mehr als nur anekdotischen Charakter, sie hat System. Hier lebt die evolutionär bedingte und christlich beglaubigte Vorstellung fort, der Mensch müsse sich die Erde untertan machen. In Zeiten des Klimawandels hat das Wort „menschengemacht“ aber einen ganz anderen Beiklang bekommen.
Daher der Ärger über die ästhetische und ökologische Zumutung von Zierkies und Grobschotterfeldern, denen nur noch durch Gartensatire beizukommen ist. Oder durch Gesetze: In einigen Bundesländern sind Schottergärten schon verboten.
Ein sprechendes Symbol dieser Verhunzung der Natur sind die heute überall zu sehenden Gabionen. Die mit Schotter gefüllten Drahtkörbe mögen als Lärmschutzwand noch durchgehen – als Zierde der Grundstücksgrenze sind sie eine Katastrophe. Früher dienten Schanzkörbe als Schussfänger. Heute signalisiert der stolze Hausbesitzer damit, dass er sich von der Öffentlichkeit abschotten will – und dass es ihm vollkommen egal ist, ob da nun Büsche stehen, in denen Insekten zu Hause sind, oder Steinkäfige, die auch noch die Hitze des Tages an die Umgebung abgeben.
Wirtschaftswunder und Machbarkeitswahn haben in Deutschland auch die Wahrnehmung der Umwelt umcodiert. War der architektonischen Moderne noch daran gelegen, Architektur und Natur sinnvoll zu verbinden, ging diese Idee in den Sechzigerjahren verloren. Bald wurde es in den Städten enger. Der Betonbrutalismus machte die Gebäude klobiger, die Zwischenflächen kleiner. Das Leben in der Stadt wurde nur nach funktionalen Kriterien bewertet. Was zu kurz kam: dass man dort auch richtig leben will.
In diesen Tagen wird es besonders deutlich. Die Städte muten den Menschen Enge, Lärm und eben auch Hitze zu. Man merkt es schon, wenn man aus der Münchner Innenstadt in den Englischen Garten geht oder sich in Frankfurt in ein Café am Main setzt. Sofort fallen die Temperaturen, ein Luftzug vertreibt die drückende Schwüle, und der Stress der Stadt mit den stetig verdichteten Quartieren fällt ab. Ganz abgesehen davon, dass die Farbe Grün dem Auge guttut.
Die Städte brauchen dringend Abkühlung. Denn trotz vieler Berichte über das schöne Landleben schreitet die Verstädterung fort. 1950 lebte nicht einmal ein Drittel der Weltbevölkerung in Städten, 2015 war es schon mehr als die Hälfte. In Deutschland sind es schon drei Viertel aller Einwohner. Die Abschaffung der Eigenheimzulage Ende 2005, die verringerte Pendlerpauschale und natürlich die überfüllten Straßen führten dazu, dass noch mehr Menschen in die Städte zogen. Gut so, denn immerhin wurden damit die zunehmende Zersiedelung der Landschaft und das Wachstum der Verkehrsflächen etwas aufgehalten.
Die städtebauliche Nachverdichtung mit Gebäudeaufstockung und Blockrandbebauung ist schon deshalb sinnvoll, weil so der Flächenfraß etwas verringert wird. Angesichts der Klimakatastrophe sieht man aber nun, was falsch gelaufen ist.
Ob in Köln, Berlin oder Hamburg: Die Städte sind trotz vieler Grünflächen zugebaut, die Parkplätze sind geteert statt mit Rasengittersteinen oder wenigstens sickerfähigem Ökopflaster versehen. Und an Samstagen sieht man doch wirklich Menschen vor ihren Häusern, die aus Pflasterfugen das Unkraut kratzen, statt Kräuter einfach wachsen zu lassen.
Die übereifrige Ordnungsliebe der Deutschen hat verheerende Folgen. Die Rückzugsflächen für Biodiversität, durch die Landwirtschaft ohnehin schon eingeschränkt, werden noch kleiner. Die Hochwassergefahr an den Flüssen wächst, weil das Wasser nicht versickert, sondern schnell abfließt. Und die natürliche Kühlung fehlt.
Immerhin hat Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) nun reagiert. Am Donnerstag kündigte sie an, Projekte für Straßen- und Fassadenbegrünung und die Einrichtung innerstädtischer Flüsse und Bäche zu fördern. Aber 176 Millionen Euro für Klimaresilienz sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Bund, Länder und Kommunen können nicht alles regeln.
Daher sollte sich jeder Häuslebauer und Stadtbewohner fragen: Muss in Deutschland alles immer sofort bebaut, betoniert, asphaltiert, gepflastert werden? Warum kann man Wände und Dächer nicht einfach begrünen? In nicht allzu ferner Zukunft wird man mit Befremden auf solche Fragen zurückschauen. Unsere Städte müssen grüner werden. Und wirklich jeder sollte dabei mitmachen.
Aus der Rubrik „Aktuelles“ der Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Alfons Kaiser ist seit 2000 verantwortlich für das Ressort „Deutschland und die Welt“
