Der Agrarwissenschaftler Wilhelm Windisch über die Effizienz der Kühe, die Verschwendung der Vollkornbrotfreunde und den Irrsinn mit dem Laborfleisch.
Herr Windisch, was halten Sie von Hafermilch?
Ich finde Hafermilch grundsätzlich gut, Farbe und Geschmack sind in Ordnung. Wer das für seinen Kaffee mag, soll es meinetwegen im Supermarkt kaufen. Aber nur, wenn die Hafermilch professionell erzeugt wurde. Und solange wir sie als Ergänzung zur Milch von der Kuh betrachten, nicht als einen Ersatz. Sie hat mit Milch eigentlich nichts zu tun. Sie enthält viel weniger Eiweiß, und sie ist ein Endprodukt der Lebensmittelerzeugung. Milch dagegen ist ein Primärprodukt der Tierhaltung, das zu Käse, Joghurt und noch vielen anderen Lebensmitteln verarbeitet werden kann.
Geht es nicht gerade darum, die Viehhaltung mit ihren Folgen für Klima, Umwelt und Tierwohl abzuschaffen?
Nein. Für die Klimakrise ist Hafermilch keine Lösung, für das Problem der Welternährung auch nicht.
Aber für das Klima und die Welternährung ist die rein vegane Landwirtschaft doch viel besser.
Das ist ein Denkfehler. Sie übersehen dabei etwas Entscheidendes. Wenn Sie Milch mit Hafermilch ersetzen, dann vermehren Sie Ihren Konsum an veganer Biomasse auf Kosten der Tiere. Die Kühe fressen idealerweise Gras und Rückstände aus der Produktion pflanzlicher Lebensmittel. Das heißt, sie holen mehr aus der Biomasse heraus, als ohne sie für die Ernährung der Menschheit zur Verfügung stünde – weil ihr Verdauungstrakt wahre Wunder tut.
Wie bitte?
Die Viehhaltung, der zweite Kreislauf in der Landwirtschaft nach dem Pflanzenanbau, liefert uns praktisch umsonst zusätzlich eine große Menge an Kilokalorien und Eiweiß, und zwar mindestens so viel wie ein halbes Kilogramm veganes Lebensmittel. Das heißt: Wenn wir diesen zweiten Kreislauf weglassen, etwa indem wir komplett auf Hafermilch umstellen, dann müssen wir zum Ausgleich die vegane Produktion massiv erhöhen. Dann müssen die Schlepper mehr über die Felder fahren, es muss mehr Stickstoffdünger ausgebracht werden – und die CO2-Emissionen steigen.
Das müssen Sie genauer erklären. Das Futter für die Kuh gibt es doch auch nicht ohne Emissionen.

Jetzt müssen wir kurz über Biologie reden. Die Wiederkäuer, zu denen die Kühe gehören, sind in der Evolution enorm erfolgreich. Sie überleben in Gegenden, in denen viele andere Tiere kein Futter finden. Das schafft die Kuh, weil sie einen Pansen voller Mikroorganismen hat. Die Kuh frisst nämlich gar kein Gras. Sie füttert vielmehr ihre Pansenmikroben mit Gras und frisst das, was die Mikroben daraus machen: verwertbare Abbauprodukte als Energiequelle und die Mikroorganismen selbst als hochwertiges Eiweiß. Das ist bei einer ordentlichen Milchkuh jeden Tag ein Putzeimer voll veganes Protein. Und das mit einem Futter, das der Mensch gar nicht essen kann! Dieses System ist so leistungsfähig, dass die Profis unter den Landwirten locker eine Kuh mit 6000 Litern Milch im Jahr füttern können, ohne dass sie dem Menschen auch nur eine Kilokalorie oder ein Gramm Eiweiß weggefressen hat.
Weidehaltung genügt dafür nicht. Woher kommt das Futter?
Doch, professionelle Weidehaltung schafft das durchaus. Der springende Punkt ist die große Menge an nicht essbarer Biomasse, die auch bei der Produktion an veganen Lebensmitteln anfällt. Das ist nicht etwa nur das Stroh, das bei der Ernte zurückbleibt. Auch bei der Verarbeitung von Getreide zu Mehl und bei der Gewinnung von Öl aus Raps bleiben hervorragende Futtermittel übrig. Wenn wir das komplett nutzen, können wir locker zwei Drittel unserer derzeitigen Milchproduktion aufrechterhalten, ohne extra Futter anbauen oder importieren zu müssen. Dann könnten wir auf die Milchkartons ein Siegel drucken: ohne Nahrungsmittelkonkurrenz. Das wäre ideal.
Wäre es dann auch kein Klimafrevel, Rindfleisch zu essen?
Natürlich nicht. Milchproduktion ist effizienter als Fleischproduktion. Aber wo man Kühe melkt, hat man automatisch Rindfleisch. Und in abgelegenen Gegenden, wo es an Technik und Infrastruktur für die Milchviehhaltung fehlt, ist die Fleischproduktion die einzige Möglichkeit, das Weideland zu nutzen.
Wer sich gesund ernähren will, isst Vollkornbrot. Da wird das ganze Korn genutzt, es bleibt viel weniger Biomasse in der Mühle übrig.
Die Kleie kann ich zwar essen, richtig, aber dann scheide ich sie ohne Verwertung größtenteils wieder aus. Vom Gesichtspunkt der Nahrungsmitteleffizienz gesehen, ist das Verschwendung. Die Ballaststoffe, für die Vollkornmehl immer so gelobt wird, kann ich viel besser aus Gemüse holen. Dann kann ich die Kleie an Tiere verfüttern und gewinne zusätzliche Kalorien. Gebt dem Tier, was des Tieres ist!
Das heißt, der Vollkornbrotesser ist der Sünder, nicht der Milchtrinker?
Ja, genau! Es kommt noch etwas dazu, von den Kalorien abgesehen. In der Kleie stecken drei Viertel des Phosphors, das dem Feld mit der Ernte des Getreides entzogen wurde. Wenn ich die Kleie esse, dann landet der Phosphor in der Kläranlage, und der Landwirt muss das Feld mit umso mehr davon düngen, und zwar aus fossilen Quellen. Schon wieder Verschwendung! Viehhaltung sorgt dafür, dass dieser Phosphor über den Stallmist wieder zurück aufs Feld kommt. Wir sehen jetzt schon, dass viele Felder im Nordosten von Deutschland, die ohne Vieh bewirtschaftet werden, an Phosphor verarmen. Da muss dringend wieder Tierhaltung her, sonst werden die Erträge sinken.
Sie tun so, als wären Ihnen die Kühe heilig. Dabei stoßen die so viel Methan aus, das dem Klima schadet.
Das stimmt, das Methan ist der einzige Wermutstropfen. Darauf entfallen rund 4 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland. Das eigentliche Problem ist aber nicht das Methan, sondern das Kohlendioxid aus fossilen Energiequellen. Die Landwirtschaft hat eine wunderbare Möglichkeit, damit umzugehen. Sie kann sogenannte CO2-Senken schaffen, die das Gas binden. Grünland ist so eine Senke. Vom Kleegras als Futter war ja schon die Rede. Es hat aber auch eine phänomenale Kohlenstoffbindung. So kann die Viehhaltung zumindest einen Teil ihrer CO2-Bürde wieder loswerden.
Und welche Konzepte für die vegane Zukunft bietet die Biolandwirtschaft?
Die Biolandwirte brauchen die Nutztiere doch am allermeisten! Damit sich die Bodenfruchtbarkeit erholt, muss auf einem Getreideacker in der Biolandwirtschaft alle vier Jahre Kleegras oder ein anderes Grünfutter angesät werden. Sonst wäre viel zu viel Stickstoffdünger nötig. Das heißt, es fallen 20 Prozent der Produktionsfläche für vegane Lebensmittel aus. Und wer kann die gewaltigen Mengen an Biomasse verarbeiten, die auf diesen Flächen währenddessen wachsen? Die Kuh.
Was halten Sie von der Idee, wegen des Kriegs in der Ukraine und drohender Lebensmittelknappheit die Ausbauziele für die Biolandwirtschaft aufzugeben? Führt das zu mehr Ertrag?
So einfach ist das nicht. Wenn wir nur die Ernte eines Jahres vergleichen, dann wird sie auf einem konventionell bewirtschafteten Feld vielleicht 20 oder 30 Prozent größer ausfallen. Aber langfristig, über die gesamte Fruchtfolge betrachtet, schneidet Bio nicht so schlecht ab. Das Kleegras, das der Biolandwirt alle vier Jahre aussät, hat ja eine Wirkung. Danach kann er auf demselben Feld stark zehrende Kulturen anbauen, ohne Stickstoff düngen zu müssen, im Extremfall sogar Mais. Das spart Emissionen. Ein vorbildlicher Biobetrieb ist in der Summe daher vielleicht nicht viel schlechter als ein vorbildlich geführter konventioneller Betrieb.
Aber ist das genug, um die Weltbevölkerung zu ernähren?
Wir müssen in Zukunft überall dort pflanzliche Nahrung für Menschen erzeugen, wo es geht. Stellen Sie sich die landwirtschaftliche Nutzfläche der ganzen Welt als ein Fußballfeld vor. Dann ist nicht einmal der Strafraum als Acker nutzbar. Deshalb ist es so wichtig, die Tierhaltung ohne Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion zu organisieren. Mit Wiederkäuern geht das gut, mit Hühnchen nicht, die brauchen anderes Futter. Wir werden aber auf jeden Fall weniger Fleisch essen und auch weniger Milch trinken als heute.
Oder wir gewinnen Fleisch und Milch in Zukunft sauber aus dem Labor, ohne dass dafür ein einziges Tier gehalten werden müsste.
Das ist leider auch keine Lösung. Die Laborfleischerzeugung ist eine regelrechte Vernichtungsmaschine für vegane Lebensmittel. Was da passiert, ist nur eine andere Form der Nutztierhaltung – mit sehr hohem Aufwand. Die Zellkulturen müssen Sie im Labor steril halten, Sie müssen sie vor Krankheiten schützen, Sie müssen die Leber- und Nierenfunktion erfüllen – all das, wofür die Evolution im Tierreich schon überzeugende Lösungen gefunden hat. Und Sie müssen diese einzelligen Nutztiere im Labor auch füttern. Dafür nimmt man das höchstwertige vegane Futter, das Sie sich vorstellen können, nämlich reine Glukose, dazu Amino- und Fettsäuren. Das ist wie die Ernährung für schwerkranke Menschen im Krankenhaus. Anders gesagt: Mit Laborfleisch haben wir nichts gewonnen, außer dass wir dafür kein Tier schlachten müssen.
Eingangs haben wir über Hafermilch gesprochen. Warum ist es Ihnen so wichtig, dass sie aus dem Supermarkt kommt statt aus der Eigenproduktion?
Weil das überhaupt das Schlimmste ist, was man dem Hafer antun kann. Schauen Sie sich die Rezepte dafür an. Es läuft immer darauf hinaus, dass Sie zwei Drittel vom Hafer nachher wegschmeißen. Dabei ist das wunderbares Tierfutter.
Das Gespräch führte Sebastian Balzter
Wirtschaft / Ernährung der F.A.Z.
